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Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner
selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist
das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines
anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit,
wenn die Ursache desselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der
Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung
eines anderen zu bedienen [...].
Daß der bei weitem größte Teil der
Menschen (darunter das ganze schöne Geschlecht) den Schritt
zur Mündigkeit, außer dem, daß er
beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte,
dafür sorgen schon jene Vormünder, die die
Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben
[...].
Durch die Revolution wird vielleicht wohl ein Abfall von
persönlichem Despotism und gewinnsüchtiger oder
herrschsüchtiger Bedrückung, aber niemals wahre
Reform der Denkungsart zustande kommen, sondern nur neue Vorurteile
werden, ebensowohl als die alten, zum Leitbande des gedankenlosen
großen Haufens dienen [...].
Was ist Aufklärung Immanuel Kant (1724-1804)
Mathematik und Physik sind die beiden theoretischen Erkenntnisse der
Vernunft, welche ihre Objekte a priori bestimmen sollen, die erstere
ganz rein, die zweite wenigstens zum Teil rein, denn aber auch nach
Maßgabe anderer Erkenntnisquellen als der der Vernunft.
Die Mathematik ist von den frühesten Zeiten her, wohin die
Geschichte der menschlichen Vernunft reicht, in dem
bewundernswürdigen Volke der Griechen den sichern Weg einer
Wissenschaft gegangen. Allein man darf nicht denken, daß es
ihr so leicht geworden, wie der Logik, wo die Vernunft es nur mit sich
selbst zu tun hat, jenen königlichen Weg zu treffen, oder
vielmehr sich selbst zu bahnen; vielmehr glaube ich, daß es
lange mit ihr (vornehmlich noch unter den Ägyptern) beim
Herumtappen geblieben ist, und diese Umänderung einer
Revolution zuzuschreiben sei, die der glückliche Einfall
eines einzigen Mannes in einem Versuche zu Stande brachte, von welchem
an die Bahn, die man nehmen mußte, nicht mehr zu verfehlen
war, und der sichere Gang einer Wissenschaft für alle Zeiten
und in unendliche Weiten eingeschlagen und vorgezeichnet war. Die
Geschichte dieser Revolution der Denkart, welche viel wichtiger war als
die Entdeckung des Weges um das berühmte Vorgebirge, und des
Glücklichen, der sie zu Stande brachte, ist uns nicht
aufbehalten. Doch beweiset die Sage, welche Diogenes der Laertier uns
überliefert, der von den kleinesten, und, nach dem gemeinen
Urteil, gar nicht einmal eines Beweises benötigten, Elementen
der geometrischen Demonstrationen den angeblichen Erfinder nennt,
daß das Andenken der Veränderung, die durch die
erste Spur der Entdeckung dieses neuen Weges bewirkt wurde, den
Mathematikern äußerst wichtig geschienen haben
müsse, und dadurch unvergeßlich geworden sei. Dem
ersten, der den gleichseitigen Triangel demonstrierte (er mag nun
Thales oder wie man will geheißen haben), dem ging ein Licht
auf; denn er fand, daß er nicht dem, was er in der Figur
sahe, oder auch dem bloßen Begriffe derselben
nachspüren und gleichsam davon ihre Eigenschaften ablernen,
sondern durch das, was er nach Begriffen selbst a priori hineindachte
und darstellete (durch Konstruktion), hervorbringen müsse, und
daß er, um sicher etwas a priori zu wissen, er der Sache
nichts beilegen müsse, als was aus dem notwendig folgte, was
er seinem Begriffe gemäß selbst in sie gelegt hat.
"Kopernikanische Wende" Immanuel Kant (1724-1804)
Um aber den Begriff eines an sich selbst hochzuschätzenden und
ohne weitere Absicht guten Willens, so wie er schon dem
natürlichen gesunden Verstande beiwohnet und nicht so wohl
gelehret als vielmehr nur aufgeklärt zu werden bedarf, diesen
Begriff, der in der Schätzung des ganzen Werts unserer
Handlungen immer obenan steht und die Bedingung alles übrigen
ausmacht, zu entwickeln: wollen wir den Begriff der Pflicht vor uns
nehmen, der den eines guten Willens, obzwar unter gewissen subjektiven
Einschränkungen und Hindernissen, enthält, die aber
doch, weit gefehlt, daß sie ihn verstecken und unkenntlich
machen sollten, ihn vielmehr durch Abstechung heben und desto heller
hervorscheinen lassen.
Ich übergehe hier alle Handlungen, die schon als pflichtwidrig
erkannt werden, ob sie gleich in dieser oder jener Absicht
nützlich sein mögen; denn bei denen ist gar nicht
einmal die Frage, ob sie aus Pflicht geschehen sein mögen, da
sie dieser sogar widerstreiten. Ich setze auch die Handlungen bei
Seite, die wirklich pflichtmäßig sind, zu denen aber
Menschen unmittelbar keine Neigung haben, sie aber den noch
ausüben, weil sie durch eine andere Neigung dazu getrieben
werden. Denn da läßt sich leicht unterscheiden, ob
die pflichtmäßige Handlung aus Pflicht oder aus
selbstsüchtiger Absicht geschehen sei. Weit schwerer ist
dieser Unterschied zu bemerken, wo die Handlung
pflichtmäßig ist und das Subjekt noch
überdem unmittelbare Neigung zu ihr hat. Z.B. es ist
allerdings pflichtmäßig, daß der
Krämer seinen unerfahrnen Käufer nicht
überteure, und, wo viel Verkehr ist, tut dieses auch
der kluge Kaufmann nicht, sondern hält einen festgesetzten
allgemeinen Preis für jedermann, so daß ein Kind
eben so gut bei ihm kauft, als jeder anderer. Man wird also ehrlich
bedient; allein das ist lange nicht genug, um deswegen zu glauben, der
Kaufmann habe aus Pflicht und Grundsätzen der Ehrlichkeit so
verfahren; sein Vorteil erforderte es; daß er aber
überdem noch eine unmittelbare Neigung zu den Käufern
haben sollte, um gleichsam aus Liebe keinem vor dem andern im Preise
den Vorzug zu geben, läßt sich hier nicht annehmen.
Also war die Handlung weder aus Pflicht, noch aus unmittelbarer
Neigung, sondern bloß in eigennütziger Absicht
geschehen.
Dagegen, sein Leben zu erhalten, ist Pflicht, und überdem hat
jedermann dazu noch eine unmittelbare Neigung. Aber um deswillen hat
die oft ängstliche Sorgfalt, die der größte
Teil der Menschen dafür trägt, doch keinen innern
Wert, und die Maxime derselben keinen moralischen Gehalt. Sie
bewahren ihr Leben zwar pflichtmäßig, aber nicht aus
Pflicht. Dagegen, wenn Widerwärtigkeiten und hoffnungsloser
Gram den Geschmack am Leben gänzlich weggenommen haben; wenn
der Unglückliche, stark an Seele, über sein Schicksal
mehr entrüstet, als kleinmütig oder niedergeschlagen,
den Tod wünscht, und sein Leben doch erhält, ohne es
zu lieben, nicht aus Neigung, oder Furcht, sondern aus Pflicht: alsdenn
hat seine Maxime einen moralischen Gehalt.
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Immanuel Kant (1724-1804)
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